Der Neubeginn

Als nach der totalen Niederlage des faschistischen Staates, die in der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8.Mai 1945 in Berlin – Karlshorst ihren Ausdruck fand, das ganze Ausmaß der nationalen Katastrophe allmählich deutlich wurde, stellte sich auch die Frage nach den geistigen Wurzeln dieser verhängnisvollen Entwicklung. Im Rahmen dieser Problematik spielte die Diskussion uni den Beitrag der Schule zur Erziehung der Jugend zum Nationalsozialismus eine große Rolle, und man war sich einig in der Überzeugung, dass ein Neubeginn gewagt werden musste. Dabei kam es naturgemäß zu vielfältigen Experimenten und Veränderungen, die sich auch auf Organisationsstrukturen auswirkten. So wurde z. B. schon früh in Friedrichshagen das Prinzip der Koedukation durchgesetzt. Es wurden Schulen zusammengelegt, wieder getrennt und z.T. in anderen Gebäuden untergebracht, Schulnamen wie „König – Friedrich – Realgymnasium“ und „Richard – Wagner – Oberlyzeum“ wurden abgeschafft und durch andere Bezeichnungen ersetzt.

Unter Vernachlässigung der Geschichte anderer Lehranstalten ergibt sich für die beiden Schulen, an denen man in Friedrichshagen die Berechtigung zur Aufnahme eines Universitätsstudiums erwerben konnte, folgendes Bild:
Scheitern des Versuches, schon im Mai 1945 den Schulbetrieb wieder aufzunehmen. Ein Großteil der Schüler, die mit ihren Lehrern 1943 evakuiert worden waren, kommt erst im Mai 1946 nach langen Irrfahrten nach Friedrichshagen zurück. September 1945: Beginn des regelmäßigen Unterrichtes. Noch im selben Jahr Vereinigung mit dem ehemaligen Richard – Wagner – Oberlyzeum unter dem Namen „Vereinigte Oberschulen Friedrichshagens“, der bald in „Fridjof – Nansen – Oberschule“ umgeändert wird. Direktor ist Studienrat Sielisch. Nach dem Tode des Direktors Sielisch übernimmt 1946 Herr Kähnen die Leitung der Schule.

1946 wird diese Schule aufgrund zu hoher Schülerzahlen wieder aufgeteilt in zwei Lehranstalten, von denen die eine in Nachfolge des ehemaligen „König – Friedrich – Realgymnasiums“ am 14.9.1946 den Namen „Gerhart – Hauptmann – Schule“ erhält. Die andere konstituiert sich als „Beethoven – Schule“. Beide verbleiben aber im Gebäude in der Aßmannstraße unter Leitung eines Direktors (Kähnen) und nutzen die Räumlichkeiten im Schichtunterricht. Am 10.01.1949 belegen im Rahmen eines Leistungsvergleiches der Berliner Schulen der Schulchor unter seinem Leiter Monty Kusel und ein Sprechchor einen zweiten Platz. Am 15.10.1949 Tod des Schulleiters Kähnen, dessen Nachfolger am 16.1.1950 Herr Sack wird. 1950 wird am 19. April der Gründung des Progymnasiums in Friedrichshagen in würdigen Jubiläumsveranstaltungen gedacht. Zu diesen Feierlichkeiten kommen auch 800 ehemalige Schüler aus allen Teilen Deutschlands. Es wird eine große Summe Geld gestiftet, mit dem das jetzt vor der Aula hängende Bild Gerhart Hauptmanns bei der Friedrichshagener Malerin und Ubersetzerin Dr. Pauly in Auftrag gegeben werden kann. Die Festansprache anlässlich der Übergabe des fertiggestellten Gemäldes hält am 15. Juli 1950 Wilhelm Spohr, der letzte noch lebende Vertreter der „Friedrichshagener“.

1951 werden beide Oberschulen wieder zusammengeführt, und zwar unter dem Namen „Gerhart – Hauptmann – Oberschule“. Diese Lehranstalt umfasst nur noch die Klassen 9 -12, und der Unterricht beginnt am 01. September im Gebäude des ehemaligen Richard – Wagner – Oberlyzeums in der Bruno – Wille – Straße, in das aber gleichzeitig die 11. Schule einzieht. In der ursprünglichen Heimstatt des König – Friedrich – Realgymnasiums wird die 23. Schule untergebracht. Besonderer Beliebtheit erfreut sich in dieser Zeit über den Schulrahmen hinaus die Puppenbühne, die von Schülern unter Anleitung des Kunsterziehers Wilhelm Gohlke gebaut und für niveauvolle Aufführungen mit selbstgefertigten Puppen genutzt wird.

Am 3. und 4. Juni 1959 findet ein Pressefest der Schülerzeitung mit vielen Veranstaltungen statt, das große Resonanz bei der Schülerschaft findet. Die weitere Entwicklung der Lehranstalt bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1982 wird in immer stärkerem Maße von der Schul-, Jugend- und Bildungspolitik der SED bestimmt. Marschieren und Fahnenappelle treten mehr und mehr in den Vordergrund, und die männlichen Schüler werden verpflichtet, sich einer vormilitärischen Erziehung im Rahmen der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) zu unterziehen. Der Religionsunterricht wird aus der Schule verbannt, und die Schülerinnen und Schüler, die ihre Zugehörigkeit zur christliche Jugend durch das Tragen eines Abzeichens (Weltkugel mit Kreuz / Kreuz) offen bekennen, werden von der Parteileitung sehr aufmerksam beobachtet.

In diese Entwicklung passt auch hinein, daß es unter dem Aspekt, alles neu und völlig anders gestalten zu wollen, zu einem Bruch mit jeglicher Form der Schultradition kommt. Die Bezeichnung „Gymnasium“ wurde schon früher abgeschafft, da sie zu sehr bürgerlichem Bildungsstreben verpflichtet zu sein schien. Des 75jährigen Bestehens der höheren Lehranstalt in Friedrichshagen wird in keiner Weise gedacht, die Photographien der beiden Direktoren in den ersten Nachkriegsjahren werden entfernt, und die erst am Anfang der 50er Jahre entworfene Schulfahne mit der lateinischen Aufschrift POPULO – PATRIAE – LIFIERIS – PACI muss der FDJ – Symbolik weichen und bleibt bis heute unauffindbar.

1962 findet anläßlich des 100. Geburtstages Gerhart Hauptmanns eine niveauvolle Festveranstaltung statt, um die sich besonders die Kollegen Galle und Gohlke verdient machen und an der als Ehrengast Frau Dr. Pauly teilnimmt. Die sehr schöne Idee eines künstlerischen Wettbewerbs, Initiatoren sind die schon oben genannten Lehrer W. Galle und W. Gohlke, in dem eine enge Verbindung von Musik, graphischer Gestaltung und Lyrik angestrebt wird, führt anfangs zu beachtenswerten Ergebnissen, verkümmert allerdings später unter anderer Leitung zu einer Zwangsveranstaltung, in deren Verlauf jeder Schüler zu einem vorgegebenen abstrakt -„fortschrittlichen“ Thema ein selbstgefertigtes Gedicht abliefern muß. Für einige Jahre hat die Singegruppe der Schule ein sehr gutes Niveau, während sich der traditionsreiche Schulchor allmählich auflöst. Schülerarbeiten, die im Unterricht des Zeichenlehrers Gohlke entstanden waren, werden häufig im Berliner Rahmen und sogar darüber hinaus mit Preisen bedacht. Er selbst hat ein beeindruckende Ausstellung seines eigenen künstlerischen Schaffens, er ist Kunsterzieher und Kunstmaler, im Haus des Lehrers.

Auch auf sportlichem Gebiet ist bei Leistungsvergleichen besonders dank des unermüdlichen Einsatzes des Sportlehrers Rubbert die GHS zumeist auf vorderen Plätzen zu finden, und sie erhält sogar einmal das Ehrenbanner als „Beste Berliner Erweitere Oberschule im Jugendsport“. Veränderungen im Schulleben und Schulprofil ergeben sich aufgrund der obligatorischen Ernteeinsätze in den 50er und den 60er Jahren und ganz besonders infolge der Einführung des Faches Polytechnik bis Klasse 10 und Wissenschaftlich-Praktische Arbeit in den Klassen 11 und 12, in dem eine Abschlußarbeit geschrieben wird. Die sich notwendigerweise ergebenden Veränderungen in der Stundentafel führen z.B. dazu, dass Latein seine Stellung als reguläres Unterrichtsfach verliert und nur noch in Klasse 11 und 12 im sogenannten fakultativen Unterricht (3 Stunden pro Woche) in seinen Anfangsgründen vermittelt werden kann.

Trotz einer sehr starken Fluktuation der Lehrkräfte – von 1954 bis 1982 unterrichteten insgesamt 108 Lehrerinnen und Lehrer an der GHS – gelingt es dank des großen Einsatzes vieler Pädagoginnen und Pädagogen dennoch, den Ruf der Schule als Ausbildungsstättte mit gutem Niveau im großen und ganzen zu bewahren, was sich auch an der späteren Entwicklung sehr vieler Schüler und Schülerinnen nachweisen lässt. Schulleiter und ganz besonders die Stellvertreter wechseln in diesem Zeitraum relativ häufig. Nach der Ablösung des Direktors Sack im Jahre 1959 leiten die Schule bis 1982 Frau L. Vogelbein, Herr K. Albinus, und Frau E. Erler. Als Stellvertreter folgen der Frau R. Althoff, die 1955 ein Medizinstudium aufnimmt und promoviert, die Herren Schröder, Dr. Friedrich, Barth, Höfs, Machnik, Thiele und Wendland.

Von den sehr vielen Lehrkräften seien nur die genannt, die über längere Zeit an der Schule unterrichteten: die Damen I. Allsen, Ch. Donath, L Fierchau, I. Graichen (Wildow), R. Hartmann, A. Kaspar, I. Krause, R. Kuch, M. Müller (Schmidt), H. Plumeyer, und die Herren H. Bollmann, H. Eitner, W. Galle, W. Gohlke, P. Herzog, G. Hofmann, N. Neuse, H. Rubbert, P.-Chr. Schmidt, H. Schneidler, M. Warneke. Aufgrund der Rekonstruktion des Gebäudes in der Bruno – Wille – Straße zieht die GHS im Schuljahr 1977/78 in einen noch leerstehenden Neubau in Marzahn, um im September 1978 ihre neue (alte) Heimstatt in den Räumen des ehemaligen König – Friedrich – Realgymnasiums in der Aßmannstraße zu finden. Sehr bald wird aber deutlich, dass eine einschneidende Umgestaltung der zum Hochschulstudium führenden Lehranstalten geplant ist: Der Übergang zur EOS (Erweiterte Oberschule) soll erst mit der Klasse 11 erfolgen. Es wird angeordnet, dass in jedem Berliner Stadtbezirk nur eine EOS bestehen bleiben darf. Im Stadtbezirk Köpenick entscheidet man sich für die Alexander – von – Humboldt – Schule, so dass mit Beginn des Schuljahres 1982/83 Friedrichshagen keine höhere Lehranstalt mehr besitzt. Die AvH übernimmt die verbleibenden Schüler, die gesamten Unterrichtsmaterialien und einen Teil des Lehrerkollegiums. Der Name „Gerhart Hauptmann“ wird an eine zehnklassige Schule in Köpenick weitergegeben. Damit scheint die Geschichte der traditionsreichen Friedrichshagener Schule beendet zu sein.

Nachtrag

Die Darstellung dieses Abschnittes der Geschichte unserer Schule war insofern schwierig, weil für die ersten Jahre nach 1945 im Schularchiv keine amtlichen Unterlagen vorhanden sind, so dass auf nicht veröffentlichte Berichte, Redeentwürfe, fragmentarische Notizen, die zufälligerweise erhalten geblieben waren, und auf persönliche Erinnerungen ehemaliger Lehrkräfte und Schüler zurückgegriffen werden musste. Ganz besonderer Dank gilt Frau Dr. Althoff, die ihre exakten und detaillierten Angaben für die Zeit von 1946 bis 1955 in Form einer Chronik zur Verfügung stellte. Wichtige Hinweise gab auch das von Studienrat Böttcher bis zu seinem Tode im Jahre 1955 geführte Verzeichnis aller Abiturienten seit der ersten Reifeprüfung 1911. Als weitere Quellen seien nur noch genannt die Schülerzeitung, deren Exemplare von Oktober 1957 bis Anfang 1969 fast vollständig vorliegen, und eine von Herrn Schneidler und Herrn Eitner angefertigte Zusammenstellung aller Lehrkräfte, die im Zeitraum zwischen 1954 und 1982 an der Schule unterrichteten

Herbert Eitner